Geheimnisvolle Briefe

"Meine theure Freundin!


Deine Liebe bei unserm Abschied in B ... hat mir so wohl und weh gethan, daß ich mich noch nicht davon erholen kann. Immer steht Deine kummervolle Gestalt vor mir, ich lese noch den tiefen Schmerz in Deinen Blicken und Thränen, und mein eigenes Herz sagt mir nur zu sehr, was Du dabei empfunden haben mußt. Gott gebe uns bald ein so freudiges Wiedersehen, als der Abschied traurig war!
Ich kann vor der Hand nichts sagen, als Dir in's Gedächtniß rufen, was ich so oft wiederholte, daß ich ohne Dich, meine Freundin, mit mir in dieser Welt zu wissen, keine ihrer Freuden mehr ungetrübt genießen könnte, daß Du also, wenn Du mich liebst, vor Allem über Deine Gesundheit wachen, Dich durch Geschäfte, so viel Du kannst, zerstreuen, und auch die ärztlichen Anordnungen nicht verabsäumen sollst.[1]
Als mich auf dem Wege die Schwermuth, welche allen Gegenständen einen so trüben Anstrich gibt, ganz überwältigen wollte, suchte ich eine Art Hülfe bei Deiner Sévigné, deren Verhältniß mit ihrer Tochter in der That viel Aehnliches mit dem unsrigen hat, mit der Ausnahme jedoch: »que j'ai plus de votre sang« als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber gleichst der liebenswürdigen Sévigné, wie dem Portrait einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche sie vor Dir hat, gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du hast andere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und abgeschlossener als klassisch erscheint, wird bei Dir – reicher und sich in das Unendliche versenkend – romantisch. Ich schlug das Buch au hazard auf. Artig genug war es, daß ich gerade auf diese Stelle traf:


»N'aimons jamais ou n'aimons guères
Il est dangéreux d'aimer tant!«
worauf sie gefühlvoll hinzusetzt:
»Pour moi j'aime encore mieux le mal que le remêde,
et je trouve plus doux d'avoir de la peine à quitter
les gens que j'aime, que de les aimer médiocrement.«


Ein wahrer Trost ist es mir schon jetzt, Dir ein Paar Zeilen geschrieben zu haben. Seit ich mich wieder mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder näher zu seyn.
Reiseabentheuer kann ich Dir noch nicht mittheilen, ich war so sehr mit meinen innern Empfindungen beschäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich gekommen bin.[2]
Dresden erschien mir weniger freundlich als gewöhnlich, und ich dankte Gott, als ich mich im Gasthof auf meiner Stube wieder häuslich eingerichtet fand.
Der Sturm, der mir den ganzen Tag gerade in's Gesicht blies, hat mich übrigens sehr erhitzt und fatiguirt, und da ich ohnedem, wie Du weißt, nicht ganz wohl bin, so bedarf ich der Ruhe."
Der Himmel gebe auch Dir in N. eine sanfte Nacht, und einen lieben Traum von Deinem Freunde!

Quelle: Herrmann von Pückler Muskau „Briefe eines Verstorbenen“, Brief 1

Mit freundlicher Unterstützung von www.Zeno.org – Meine Bibliothek

Mehr vom Schriftsteller Herrmann von Pückler Muskau lesen Sie in der Online-Bücherei.